Über Augentropfen und medizinische Triumphe: Wie Medizin entsteht
Snackable Science - der LinkedIn-Newsletter von Roche in Deutschland

Über Augentropfen und medizinische Triumphe: Wie Medizin entsteht

Weltweit sind mehr als 40 Millionen Menschen von Netzhauterkrankungen wie der feuchten altersabhängigen Makuladegeneration (nAMD) oder dem diabetischen Makulaödem (DMÖ) betroffen. Dabei ist das Auge unser wichtigstes Sinnesorgan. 80% der Sinneseindrücke nehmen wir über das Auge wahr. Die Einschränkungen durch diese Erkrankungen sind massiv. Alltägliche Fähigkeiten wie Lesen, Autofahren, sich anziehen oder auch Einkaufen gehen, können mit fortschreitender Krankheit zur Herausforderung oder ganz unmöglich werden. Auch eine Brille kann hier nicht mehr helfen. Die Behandlung erfolgt in der Regel über regelmäßige Spritzen, die direkt ins Auge verabreicht werden müssen. Um die Lebensqualität von Menschen mit schlimmen Augenkrankheiten möglichst zu verbessern, erforscht und entwickelt Roche in der Augenheilkunde neue, innovative Formulierungen und Systeme, die eine effiziente und bequeme Behandlung ermöglichen sollen.

“Ganz am Anfang, da wollten wir eigentlich Augentropfen entwickeln, das war aber ein bisschen crazy", lacht Christian Klein, Wissenschaftler in der Pharmaforschung bei Roche, wenn er sich an die Anfänge der Erforschung der Wirkstoffe in der Augenheilkunde erinnert. “Unsere Chefs dachten sich, sind wir hier bei ‘Jugend forscht’?, weil unsere Ideen einfach so weit weg waren von der Realität. Wir mussten viel Überzeugungsarbeit leisten, damit wir unsere Idee weiter verfolgen konnten.” Verfolgt wurde schließlich die Vision, Netzhauterkrankungen mithilfe spezifischer Antikörper zu behandeln, von denen einige ursprünglich aus der onkologischen Forschung stammen.

Um den Antikörper jetzt am Auge anwenden zu können, standen die Forscher:innen vor einigen besonderen Herausforderungen. Grundsätzlich können Augenleiden über unterschiedliche Methoden behandelt werden. Viele von uns kennen vermutlich die Verschreibung von Tabletten oder auch die Anwendung von Augentropfen und -salben. Beide Ansätze haben aber ihre Nachteile. Bei Tabletten erreicht womöglich nur ein kleiner Teil des Wirkstoffs seinen Zielort “Auge”, der Rest kann in anderen Organen unerwünschte Nebenwirkungen verursachen. Augentropfen und Salben hingegen gelangen möglicherweise nicht in ausreichender Dosierung in die Bereiche des Auges, wo sie wirken sollen - und können leicht ausgewaschen werden. Möchte man aber gravierende Erkrankungen wie beispielsweise eine Makuladegeneration behandeln, muss man das Medikament über eine dritte Variante verabreichen. Dies erfolgt dann über die sogenannte intravitreale operative Medikamentenapplikation, also eine Spritze ins Auge. Denn hier muss der Wirkstoff in den Glaskörper des Auges eingebracht werden und vor Ort, im Zentrum der Netzhaut, möglichst lange wirken. Stellt man sich jetzt vor, dass ein großer Antikörper, der für Infusionen optimiert wurde, über eine sehr, sehr kleine Spritze ins Auge gelangen soll, dann verdeutlicht das Bild von Honig, den man durch eine dünne Nadel spritzen möchte, recht gut die Herausforderungen, vor denen Christian Klein und die anderen Augen-Pioniere standen.

Aber noch etwas ist entscheidend - auch in der Augenheilkunde. Forschung und Entwicklung im pharmazeutischen Bereich erfordern generell einen wahnsinnigen Aufwand und ein hohes Risiko. Von durchschnittlich 5.000 bis 10.000 Substanzen, die in die Entwicklung gelangen, kann nur eine zur Marktreife gebracht werden. Dieser Prozess dauert im Durchschnitt 13,5 Jahre (s. Abb.).

Nur wenige Substanzen erreichen das Ziel.

Damit eine Idee, sagen wir besser, eine Substanz - in unserem Fall der spätere Antikörper - überhaupt die Chancen hat, jemals zu einem echten Medikament weiterentwickelt zu werden, muss sie im Vorfeld schon eine außergewöhnliche Kombination von Eigenschaften mitbringen. Lassen Sie uns einen gemeinsamen Blick auf einige dieser Eigenschaften werfen:

1) Sie muss den Zielort im Körper erreichen, an dem sie wirken soll, ohne vorher abgebaut oder ausgeschieden zu werden - gar nicht so leicht.

2) Die Substanz muss sich dort mit Molekülen des Körpers oder eines Erregers verbinden, die im Krankheitsprozess eine wichtige Rolle spielen - meistens mit den falschen.

3) Sie muss aber vom Körper später wieder abgebaut oder ausgeschieden werden können; sonst würde sie sich anreichern - funktioniert in der Regel nicht.

4) Sie sollte auch bei mehrfacher Überdosierung nicht giftig sein - aber wirken darf sie schon.

5) Sie muss zuverlässig großtechnisch herstellbar sein - selten machbar.

Substanzen zu finden, die diese und viele weitere Kriterien zugleich erfüllen, ist also per se ein Glücksspiel. Hat sich aber ein hoffnungsvoller Kandidat gefunden, der alle Anforderungen erfüllen kann, bleibt nun der langwierige Weg durch die klinischen Studien. In der Regel gibt es vor der Zulassung drei Phasen, die an unterschiedlichen Patient:innengruppen getestet werden. Dabei steigt die Anzahl der Teilnehmer:innen deutlich im Verlauf von Phase I bis Phase III. Laut Verband der forschenden Arzneimittelhersteller  (vfa) ist übrigens die größte Zulassungsstudie aller Zeiten unter Beteiligung von fast 70.000 Kindern durchgeführt worden. Sie diente der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Rotaviren, die schweren Durchfall hervorrufen können. Die ‘internationalste’ Studie war dagegen eine Herz-Kreislauf-Studie mit mehr als 50 beteiligten Ländern.

Sind also alle notwendigen Studien und Tests erfolgreich, kann der Hersteller nun bei den Behörden die Zulassung beantragen - für Europa ist in der Regel die europäische Arzneimittelagentur EMA (European Medicines Agency) zuständig - und die Europäische Kommission erteilt die Zulassung für das neue Medikament. Dieser Genehmigungsprozess dauert im Schnitt noch einmal 13 Monate. Das neue Medikament ist jetzt für die Produktion freigegeben. Dies ist auch spätestens der Zeitpunkt, an dem im Penzberger Labor ausgelassen gejubelt wurde. Für Wissenschaftler:innen ist das ein Once-in-a-lifetime-Moment und für uns stellt sich an dieser Stelle die Frage: So what? Es läuft doch eigentlich gar nicht schlecht.

Ein klares “jein” oder auch “ja, aber” beschreibt die aktuelle Situation aber treffender. Ja, weil diese Entwicklung viele Jahre relativ gut ging. Wir können uns nicht beschweren, haben wir doch mittlerweile fast alle die Wahl zwischen Ibuprofen, Acetylsalicylsäure und Paracetamol, wenn der Kopf mal wieder zu sehr brummt. Und viele Krankheiten stellen heutzutage keine Bedrohung mehr dar, da es glücklicherweise unzählige Wirkstoffe in die Entwicklung und erfolgreiche Anwendung geschafft haben. Und es wird mit dem beschriebenen Weg auch weiterhin neue, innovative und erfolgreiche Medikamente für bisher unbehandelbare Krankheiten geben.

Nein, weil es noch unzählige Krankheiten gibt, für die wir noch keine zufriedenstellenden Therapien gefunden haben. Nein, weil wir schon heute so viel weiter sein könnten. Es ist einfach so, dass wir wertvolle Zeit vom Labor bis zum Krankenbett verlieren, weil die Regulierungen, Vorschriften und Rahmenbedingungen nicht im Einklang mit den Fortschritten in der Medizin angepasst wurden. Das hat zur Folge, dass Deutschland als Forschungs- und Wirtschaftsstandort an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Wir sind zum Beispiel bei allen oben genannten Schritten einfach zu langsam. Die Durchführung klinischer Studien scheitert bei uns häufig an den langen und veralteten Genehmigungsverfahren. Als Folge dessen ist die Anzahl klinischer Studien in Deutschland seit 2015 um mehr als 20% gesunken. Vergleicht man uns mit der internationalen Konkurrenz, sind wir als Studienstandort auf den sechsten Platz abgerutscht - während andere Staaten auch innerhalb der EU zum Teil deutlich zulegen konnten.

Ein anderes Beispiel für “nein” ist die elektronische Patientenakte, deren Einführung unter dem Schlagwort ‘Digitalisierung des Gesundheitssystems’ seit Jahrzehnten auf der Stelle tritt. Deutschland zählt hier leider zu den Schlusslichtern und es wird sehr schwer werden, den Anschluss zu den europäischen Nachbarn wieder zu finden. Dabei überwiegen die Vorteile einer datenbasierten und vernetzten Gesundheitsversorgung eindeutig: Jede und jeder Einzelne könnte von den Forschungsergebnissen, die mit Routinedaten gewonnen werden können, konkret profitieren. Die Forschung und Entwicklung könnte schneller und besser werden, Nebenwirkungen von Medikamenten ließen sich reduzieren, die personalisierte Medizin stünde im Vordergrund. Aber was muss passieren, damit der Trichter aus der Abbildung breiter wird und die neuen, innovativen Medikamente zukünftig noch besser zu einem selbst passen?

Hierzu ist ein Umdenken in der Politik notwendig, damit Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente leichter machen, während sich die Marktbedingungen in einem globalisierten Wettbewerb immer schneller ändern. Gesundheitspolitik hat also unmittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik und auf die Erforschung innovativer Therapieansätze  “Made in Germany”. Forschung und Entwicklung finden dort statt, wo es möglich ist, wo Investitionen getätigt und wo Studien durchgeführt werden können. Das ist im Bereich der Zell- und Gentherapien momentan zu rund 90 % in den USA und China der Fall. Abhilfe könnte hier ganz konkret ein modernes Arzneimittelbewertungs- und Erstattungssystem schaffen, bei dem neue Evidenzanforderungen - also welche Daten für die Zulassung neuer Medikamente erhoben und eingereicht werden müssen - und neue Vertragsmodelle zwischen allen Partnern auf Augenhöhe entwickelt werden. So kann sichergestellt werden, dass auch weiterhin alle Patient:innen Zugang zu modernsten Therapien erhalten. Und vielleicht erzählen wir in einem der Newsletter in der Zukunft wirklich die Entstehungsgeschichte ganz besonderer Augentropfen? Denn mit einem Medikament in der Augenheilkunde will sich Roche nicht zufriedengeben und forscht weiter intensiv an der Behandlung von Netzhauterkrankungen. Aus dem Pioniergrüppchen in Penzberg ist eine große Entwicklungsabteilung weltweit geworden mit einem großen Portfolio und Ideen und Substanzen in allen unterschiedlichen Prüfungsphasen.

Wer sich noch genauer über die schwierige Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln informieren und weiter in den Quellen recherchieren möchte, findet auf diesen Seiten weitere, spannende Informationen:

Was ist der Unterschied zwischen trockener und feuchter AMD? Wie viele Menschen sind in Deutschland von Netzhauterkrankungen betroffen?

Fragen wie diese werden zukünftig auf den neuen Social Media Kanälen @MeineAugenblicke.de beantwortet. Darüber hinaus liegt dort besonders der Austausch zwischen Betroffenen und Angehörigen im Fokus.

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Wir hoffen, die fünfte Ausgabe von Snackable Science hat Ihnen gefallen. Über Anregungen und Feedback freuen wir uns jederzeit unter grenzach.communications@roche.com oder über unseren LinkedIn-Kanal.

Carl-Rainer Stetter

🚀 Innovative Business Development Leader | 🌐 Expert in Digital Transformation & 🤝 Strategic Partnerships

7mo

💡 Weltweit leiden über 40 Millionen Menschen an Netzhauterkrankungen, die das Sehvermögen beeinträchtigen. Roche setzt auf innovative Ansätze in der Augenheilkunde, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. 👁️🔬 Die Politik muss die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung optimieren, um Deutschland im globalen Wettbewerb zu stärken. #Innovation #Gesundheit #Forschung

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